Offenlegung von „Kickbacks“ durch freie Vertriebe

Der Bundesgerichtshof hat am 15.04.2010 entschieden (BGH III ZR 196/09), dass ein freier Vertrieb nicht ungefragt über die an ihn gezahlten Provisionen aufklären muss, wenn der Kunde selbst keine Provision zahlt und im Prospekt offen ein Agio oder Kosten der Eigenkapitalbeschaffung ausgewiesen werden. Der BGH unterstellt, dass der Kunde in diesem Fall selbst nachfragen muss, welche Provisionen der Berater erhält, da ihm ja eine Provisionszahlung von dem Emittenten an den Berater bewusst sei.

Wir halten diese Entscheidung aus mehreren Gründen für nicht vertretbar: Grundlage der Rechtsprechung über die Aufklärungspflicht von Provisionen ist der Interessenkonflikt, in dem sich der Berater befindet. Der Anleger muss entscheiden können, ob die Empfehlung eines Produkts aus Überzeugung oder im Provisionsinteresse erfolgt. In den Prospektunterlagen ist in der Regel oder sogar eigentlich immer von einem Agio in Höhe von 5 % die Rede (unserer Kanzlei ist kein Fall bekannt, in dem ein höheres Agio ausgewiesen worden wäre). Der Anleger geht also davon aus, dass der Vertrieb dieses Agio in Höhe von 5 % erhält. Wir haben in unserer Praxis unzählige Anleger darüber befragt, welche Vorstellung sie zu der Provisionshöhe hatten. Kein Anleger konnte sich vorstellen, dass der Vertrieb mehr als diese 5 % kassiert. Wenn der Anleger erfährt, dass diese Provisionen im freien Vertrieb in der Regel 15 % betragen, fällt er regelrecht aus allen Wolken. Hier hat der Bundesgerichtshof in seiner Argumentation den entscheidenden Fehler gemacht. Es gibt keinen Anlass zu einer Nachfrage, da kein vernünftiger Anleger auf die Idee derartiger Provisionen kommen würde. Demzufolge besteht eine klare Aufklärungspflicht, was sich auch aus einem anderen Gesichtspunkt ergibt: Die freien Vertriebe sind sich darüber bewusst, dass die Provisionen von 15 % exzessiv sind. In praktisch allen Fällen werden diese daher verschleiert und nicht offen kommuniziert. Der Berater weiß daher, dass sich der Kunde in einem Irrtum befindet.

Die Berater freier Vertriebe müssen hinsichtlich der Informationspflicht genau so behandelt werden wie die Banken. Die Unterscheidung ist nicht gerechtfertigt. Der Bundesgerichtshof ist der Ansicht, dass mit der Bank ein Dauerschuldverhältnis besteht und der Anleger deswegen nicht davon ausgeht, dass diese Vergütungen hinter seinem Rücken kassiert werden. Hier übersieht der Bundesgerichtshof zwei Aspekte:

Banken empfehlen Kapitalanlageprodukte auch an Kunden, mit denen kein Dauerschuldverhältnis besteht (Girokonto, Depotkonto etc.). Und auch zu freien Vertrieben liegen oft vergleichbare, dauerhafte Geschäftsverbindungen vor, da gerade Unternehmen wie der AWD auch nach Abschluss „an dem Kunden dranbleiben“, indem weitere Produkte angeboten werden, eine Änderung der bestehenden Anlage empfohlen wird und vieles andere.

Die dem BGH-Urteil zugrunde liegende Klage hat es dem AWD unserer Ansicht nach zu leicht gemacht: Die vorerwähnten und weitere relevante Argumente wurden dort nicht vorgetragen. Die Klage beschränkt sich auf die pauschale Behauptung, dass Provisionen gezahlt und nicht offengelegt wurden. Mit einer solch dünnen Argumentation kann in einem so wichtigen Verfahren nicht gepunktet werden. In diesem Fall war nämlich in dem Prospekt nur eine Sammelposition genannt:

„Eigenkapitalbeschaffung, Marketing, Sonstiges“. Daraus war gerade nicht ersichtlich, wie hoch sich die Provision für den Vertriebsberater beläuft. Schon im Hinblick auf diesen Umstand ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs völlig unverständlich.

Das Landgericht München I hat am 25.02.2010 (AZ: 22 O 1797/09) entschieden, dass auch ein freier Vertriebsberater (in diesem Fall auch der AWD) über Provisionen unaufgefordert aufklären muss. Das Gericht befand, dass der Prospekt nicht offen über Provisionszahlungen aufklärt, wenn sich darin eine Sammelposition „Eigenkapitalbeschaffung und Vermarktung, weitere Emissionskosten“ befindet. Die an den AWD zu bezahlende Provision wird ja dadurch gerade verschleiert, da die gesamte Position dem AWD als Provision zustand. Die Bestandteile „Werbung und Marketing“ waren schlichtweg eine Täuschung. In dem BGH-Fall war der Sachverhalt nicht anders.

Wir hoffen daher, dass sich der 3. Zivilsenat anhand einer anderen Klage gegen einen Vertrieb mit den Argumenten nochmals auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung überdenkt. Die freien Vertriebe dürfen gegenüber den Banken nicht privilegiert werden (aus Erkenntnissen unserer Praxis liegen die Provisionen der Banken im Grauen Kapitalmarkt zwischen 5 und 8 %, während die freien Vertriebe Provisionssätze von 15 bis 20 % (!) vereinnahmen).

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